Vom Wald das Beste. – Nationalparkregion Bayerischer Wald
Vom Wald das Beste: Martin Zoidl

Vom Wald das Beste

Vom Wald das Beste: Martin Zoidl

"Angst vor großen Gewittern habe ich mittlerweile nicht mehr - heute ist es eher ein Gefühl von Ehrfurcht", sagt Martin Zoidl und lacht. Ein Gefühl, das sich bei dem gebürtigen Freyunger nach vielen Jahren der Wetterbeobachtung erst nach und nach eingestellt hat. Wenn er übers Wetter spricht, ist er in seinem Element.

Dann sprudeln die Worte nur so aus dem 29-Jährigen heraus. Ansonsten ist er ein eher gemütlicher Typ - ehrlich, geradeheraus. Seine weiteren Hobbys drehen sich ebenfalls um die Natur, wo er nicht nur zum Wandern und Fotografieren unterwegs ist, sondern auch mal an den Gewässern der Region seine Angelruten auswirft. Ein echter Waidler eben.

Aufgewachsen im schönen Wollaberg in der Gemeinde Jandelsbrunn verlief seine Kinder- und Jugendzeit "typisch dörflich", wie er sagt. Mit den Nachbarskindern über die Wiesen und Felder ziehen, eigene kleine Entenküken großfüttern, beim Bauern auf dem Traktor mitfahren und viel draußen sein an der frischen Luft des Bayerischen Waldes - all das gehörte zum Alltag des Heranwachsenden dazu.

„Wenn ich morgens aus dem Fenster schaue, will ich die Berge, den Rachel, Lusen und Dreisessel sehen – dann bin ich glücklich“

Nach der Zeit an der Realschule in Hauzenberg, während dieser er seine Leidenschaft für Wetterphänomene aller Art entdeckte, hing er gleich noch das Fachabitur in Waldkirchen mit dran - und entschied sich im Anschluss für die Berufsausbildung zum Industriekaufmann. Gegen ein Studium. Ein Schritt, den er bis heute nicht bereut hat.

Beruflich hatte es ihn nach der Lehre dann nach Plattling verschlagen. Doch dort war es ihm zu laut, zu teuer. Und außerdem: „Wenn ich morgens aus dem Fenster schaue, will ich die Berge, den Rachel, Lusen und Dreisessel sehen – dann bin ich glücklich“. Von seinem jetzigen Wohnort in Außernbrünst (bei Röhrnbach) aus kann er dies jeden Tag erleben - zur Arbeitsstelle nach Passau hat er ebenfalls nicht weit. Dort arbeitet er heute bei einem Großhändler in der Metallbranche im Vertrieb.

In seiner Wohnung hängt an der Wand eine vergrößerte Fotoaufnahme von einem Blitz, der gerade aus einer dunklen Wolkenschicht in Richtung Boden zuckt. "Da hab ich Glück gehabt", sagt er. "Reiner Zufall." Denn eigentlich wollte er nur mal eben schnell seine Kamera einstellen und in Position bringen, um das Unwetter, das sich noch etwas weiter weg befand, fotografisch festzuhalten. "So einen Zufallstreffer bei einem Testfoto schaffst du im Leben nur einmal", sagt Martin Zoidl - und wird dabei ganz ehrfürchtig.

Martin: Wie ist es dazu gekommen, dass Du Dich fürs Wetter interessierst?

Wetter ist etwas, das eigentlich jeden interessiert – es ist wohl nicht ohne Grund das Smalltalk-Thema Nummer eins. Ich habe in der Realschule im Erdkunde-Unterricht ein Referat gehalten, bei dem es um Tornados und Hurrikane in Amerika ging. Ich sollte herausfinden, was die Unterschiede zwischen den beiden Windarten sind, hatte mich deshalb intensiv damit beschäftigt – und irgendwie hat mich das Thema seitdem nicht mehr losgelassen.

Dann gab es die amerikanische TV-Serie „Storm Chasers“. Dabei ging es um „Sturmjäger“, die sich mit Kameras bewaffnet auf die Suche nach großen, außergewöhnlichen Wetterphänomenen machten, insbesondere eben Tornados und Hurrikane. Sie versuchten in einer Art Wettbewerb möglichst nah an sie heran zu kommen – mit dem Ziel die besten Bilder und Videos zu machen.

Irgendwie hat mich das Thema seitdem nicht mehr losgelassen

Auch in Deutschland hatte die Serie einen regelrechten Hype in Gang gesetzt. Es hatte sich eine Art Fan-Szene herausgebildet, die sich vor allem in Internetforen organisierte. Das war ungefähr Mitte der 2000er-Jahre. Als sich dann die Digital-Kameras allmählich etablierten, konnte man auch hierzulande schnell und einfach Fotos von Gewittern und Unwettern anfertigen. Jeder Sturmjäger hatte deutschlandweit seine Regionen, die er beobachtete. Wir kannten uns zunächst nicht persönlich, aber wir hielten schriftlichen Kontakt via Internet. Nach der Saison gab’s dann immer unser Jahresabschluss-Treffen, meistens zentral in München. Da sind wir dann mit 20, 30 Leuten beisammen gesessen, hatten eine Leinwand aufgebaut, auf der wir uns gemeinsam unsere Ausbeute anschauten.

Als dann später Facebook der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, habe ich dort ebenfalls regelmäßig Fotos gepostet - mit dem Ergebnis, dass uns dort mittlerweile 17.000 Menschen aus den Landkreisen Passau und Freyung-Grafenau folgen. Heute nutzen wir die Seite vor allem als Warndienst für die Follower. Unser Vorteil liegt darin, dass wir im Gegensatz zum Deutschen Wetterdienst 17.000 Wetterbeobachter vor Ort haben, die uns sagen können, wie es in den Dörfern vor ihrer Haustüre gerade aussieht. Der DWD hingegen kann nur auf Radar- und Satellitendaten zurückgreifen.

Gibt es denn ein besonderes Ereignis, das Dir aus jener Storm-Chaser-Zeit in Erinnerung geblieben ist?

Dazu fällt mir etwa der Tornado in Plattling ein, 2011 - wobei bis heute nicht hundertprozentig bestätigt ist, ob es tatsächlich ein Tornado gewesen ist. Es war eine  Superzelle mit amerikanischen Dimensionen. Die Wetterlage hatte dafür genau gepasst. Denn für die Entstehung von Superzellen muss vieles stimmen: das Windprofil, die Energie, die Luftfeuchte und die Dynamik. Bei jedem Gewitter gibt es eine Vorder- und eine Rückseite. Ich war auf der Rückseite – leider. Das heißt: Das Wetter war etwas schneller als ich, war also kurz vor meinem Eintreffen am Ort des Geschehens vorbeigezogen. Da geht’s oftmals nur um Minuten – das Wetter wartet nicht auf Dich.

Wie wichtig ist denn die Erfahrung des Scheiterns für einen Sturmjäger?

Das Scheitern ist ein elementarer Bestandteil. 70 bis 80 Prozent der Touren enden nicht wie erhofft. Du fährst hin, baust die Kamera auf und merkst, dass du statt spektakulären Blitzen nur mehr Regentropfen auf die Linse bekommst. Es kommt vielleicht zwei bis drei Mal im Jahr vor, dass alles passt und man gute Bilder bzw. Aufnahmen bekommt. Der Rest ist – wenn man’s so nennen will – für die Katz.

Wie fühlst du dich dabei?

Es ist schon auch irgendwie ein Jagd-Spiel, bei dem ein gewisser Adrenalin-Kick nicht zu leugnen ist – natürlich immer im Bewusstsein, dass Unwetter Zerstörungen mit sich bringen können, die man keinem wünscht. Vor allem aber geht es darum, dass einem klar wird, wie klein man eigentlich im Vergleich zu dieser Naturgewalt ist. Wenn da eine schwarze Wand auf einen zurollt, löst dies respektvolle Ehrfurcht in einem aus. Da freut man sich, wenn das Auto immer in Reichweite steht...

Es ist schon auch irgendwie ein Jagd-Spiel, bei dem ein gewisser Adrenalin-Kick nicht zu leugnen ist

Wie bewertest du die Zunahme all dieser Extrem-Wetterereignisse?

Jeder kann ja im Internet auf gewisse Wetterdaten zugreifen. Dabei lässt sich feststellen: Die Unwetter nehmen zumindest bei uns in der Region nicht unbedingt zu. Das einzige, was momentan auch im messbaren Bereich liegt – und das dafür umso deutlicher –,  ist ein Anstieg der Durchschnittstemperatur im Bayerischen Wald um mittlerweile über 2 Grad Celsius. Die Tatsache, dass der Jahresniederschlag gleich bleibt, führt deshalb dazu, dass es insgesamt deutlich trockener geworden ist.

Was jedoch im Vergleich zu früher ebenfalls zugenommen hat: Jeder hat heute ein Smartphone in der Tasche, macht damit Bilder und stellt sie ins Internet. Auch die mediale Berichterstattung hat sich gesteigert. Doch Tornados hat es bei uns immer schon gegeben – nur im Mittelalter war keiner da, der ein Handy-Foto hätte machen können. Auch diese Tatsache trägt dazu bei, dass die Leute heute das Gefühl haben, dass Extrem-Wetterereignisse zunehmen. Aber rein statistisch betrachtet, lässt sich dieser gefühlte Eindruck, diese subjektive Wahrnehmung, bis dato nicht nachweisen. Einzelne Wetterlagen haben nichts mit dem Klimawandel zu tun.

Wie lange beobachtest Du das Wetter schon und wertest es statistisch aus?

Seit meinen Anfängen als Sturmjäger, sprich: Mitte der Zwo-Nuller-Jahre. Seitdem beschäftige ich mich mit Wetterdaten, um auch entsprechende Prognosen stellen zu können. Dazu sind Zahlen wichtig, die ich von bestimmten Wettermodellen im Internet bekomme. Seiten wie wetteronline.de sind mehr oder weniger Sekundärliteratur. Denn die wichtigeren Rohdaten werden von den nationalen Wetterdiensten zur Verfügung gestellt, die gewisse Server-Farmen mit sehr hohen Kapazitäten besitzen, um jeden Quadratkilometer dieser Erde berechnen zu können. Das sind meine Orientierungshilfen, mit denen ich mich über die Jahre hinweg vertraut gemacht habe.

Was hältst du von natürlichen Wettervorhersagern - wie zum Beispiel der Wetterkerze?

Die Natur reagiert immer auf den Ist-Zustand bzw. einen bereits vergangenen Zustand. Das kann man sich ganz einfach so vorstellen: Ein Blumenstock, der nicht gegossen wird, geht irgendwann ein. Wenn ich mich aber eine Woche im Voraus dazu entscheide, einen Blumenstock künftig nicht mehr zu gießen, fängt er nicht schon auf hellseherische Weise eine Woche vor meiner Entscheidung an, Wasser zu sparen. Daher: Ist-Zustand und Vergangenheit sind für die Natur maßgeblich. Keine Pflanze kann in die Zukunft schauen. Alles andere ist Schabernack bzw. Kaffeesatz-Leserei. Es hat eben auch ein bisschen was Romantisches an sich, wenn irgendwo ein sympathischer Opa behauptet, er könne das Wetter an schön gewachsenen Wetterkerzen-Blumen in seinem Garten oder gar an der Konstellation der Planeten ablesen.

Keine Pflanze kann in die Zukunft schauen

Kurzfristige Wetterregeln wie „Abendrot – schön Wetterbot“  aber sind keine Hexerei oder ein übersinnliches Phänomen, sondern reine Logik: Die Sonne geht im Westen unter – und das uns betreffende Wetter kommt nun mal aus Richtung Westen. Wenn im Westen kein Wetter herrscht, sondern klare Sicht auf die Sonne, sieht man sie eben dort im geröteten Zustand untergehen. Fertig.

Welches Wetterphänomen möchtest du gerne einmal live miterleben?

Es gibt viele spektakuläre Phänomene. Doch wie definiert man spektakulär? Der eine freut sich über einen schönen Regenbogen, der andere findet schwarze Wolken faszinierend. Ich würde gerne mal für drei Wochen in Amerika, nördlich des Golfs von Mexiko, Urlaub machen, um das Wetter zu beobachten. Das wäre mein Traum. Denn dort in den Great Plains ist es landschaftlich betrachtet besonders flach – in dieser Zone gibt es daher die meisten Tornados und auch die beste Sicht darauf. Die warme Luft vom Golf trifft auf die kalte Luft aus Richtung Norden. Das ist einmalig.