Vom Wald das Beste. – Nationalparkregion Bayerischer Wald
WoidG'sichter: Thomas Müller

Bayerisch Eisenstein

WoidG'sichter: Thomas Müller

Der ehemalige Bürgermeister von Bayerisch Eisenstein hat im Handwerk sein neues berufliches Zuhause gefunden.

Bayerisch Eisenstein. Der krumme Baum lebt sein Leben, der gerade Baum wird ein Brett. Dieses chinesische Sprichwort zitiert Thomas Müller in etwas abgewandelter Form gerne, wenn es um sein alles andere als stromlinienförmig verlaufenes Leben geht. Und in der Tat: Bei einem Blick auf seine Biographie wird deutlich, dass der 49-Jährige ein lebender Widerspruch ist. Erst wollte er Pfarrer werden, nun ist er Kirchen-Kritiker. Erst gehörte er der CSU an, heute den Grünen. Erst war er als Versicherungskaufmann und Bürgermeister Theoretiker, nun - im fortgeschrittenen Alter - als Bäcker-Lehrling Praktiker. Das Überschreiten von Grenzen hat ihn geprägt - sprichwörtlich sowie buchstäblich.

Zu Beginn sah alles danach aus, als würde Thomas Müller einen Lebensweg einschlagen, der ihn nicht sonderlich von der Masse abheben sollte. Nicht nur wegen seines Standard-Namens ("Dieser symbolisiert blanken Durchschnitt, ist aber inzwischen wegen dem Fußballer im Großen und mir im Regionalen durchaus speziell"), sondern auch wegen seines Auftretens und seiner Erscheinung war zunächst nicht absehbar, dass er einmal als Botschafter des Bayerischen Waldes fungieren würde. Der junge Bursche wurde in seinem Heimatort Bayerisch Eisenstein als "freundlicher Junge von nebenan" wahrgenommen, wie er sich selbst beschreibt. Seine Kindheit und Jugend ist demnach relativ schnell erzählt, ist sie doch mehr oder weniger nach Schema F verlaufen.

Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass der überzeugte Waidler schon damals anders (und vor allem weiter) dachte als Gleichaltrige. Er engagierte sich bereits als Teenie für den Umwelt- und Naturschutz, etablierte dazu eine Jugendgruppe in Bayerisch Eisenstein und organisierte mit dieser kleinere Demonstrationen im Arberland. Gewisse Grenzen waren für ihn zwar vorhanden, aber nicht unüberwindbar. So betrachtete er auch die Demarkationslinie zwischen Deutschland und Tschechien, in deren unmittelbaren Nachbarschaft er aufwuchs. "Dieses Thema war und ist seit jeher allgegenwärtig", stellt er fest. Die Menschen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhanges waren fern und doch so nah.

"Der Ost-West-Konflikt wurde auch nie so richtig hinterfragt bei uns in der Familie. Das war einfach so. Man lebte und arrangierte sich damit." Worte, die von einer gewissen Anpassungsfähigkeit zeugen. Diese ist durchaus Teil seines Charakters. Doch mit zunehmender Lebenszeit legte Thomas Müller diese Eigenschaft ab.

"In meinem Leben ist vieles kompliziert. Das liegt aber großteils an mir selbst. Irgendwie will ich es so. Mich reizt das Neue, die Herausforderung. Und ich will mich stetig weiterentwickeln - auch noch im fortgeschritteneren Alter."

So gar nicht in dieses Muster will seine Ausbildung zum Versicherungskaufmann passen. Ein Job, dem er auch später noch einmal nachging, der aber immer nur Mittel zum Zweck war. "So konnte ich mir mein Religionspädagogik-Studium finanzieren, das ich immer angestrebt hatte." Denn die Kirche spielte in seinem Leben eine maßgebliche Rolle - bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. "Als ich meine Frau kennengelernt habe, hat sich das mit dem Pfarrersein erledigt, was auch zu einem Umdenken geführt hat", berichtet er - und ergänzt: "Die kirchliche Überzeugung ist erkaltet, weil ihre Botschaft den Geschmack verloren hat. Die Show, die immer mehr im Vordergrund steht, will keiner mehr sehen." 

Harte wie kritische Worte, die Thomas Müller jedoch sehr sachlich äußert. Was vergangen ist, ist vergangen - aber nicht vergessen. Die gesammelten Erfahrungen sind immerhin Teil seines Ichs. Die Zeit als Versicherungsvertreter hatte ihre Vor- und Nachteile. Sein Streben nach der Priesterwürde fühlte sich zum damaligen Zeitpunkt richtig an, ist jetzt aber nichtig. Die zwölfjährige Amtszeit (2002 bis 2014) als Bürgermeister von Bayerisch Eisenstein war Anfang des Jahrtausends "sein größter Traum - jetzt möchte ich das aber auf keinen Fall mehr machen", sagt er im Rückblick. Die Lebensphase als politisches Oberhaupt seiner Heimatgemeinde ist, das steht fest, eine seiner prägendsten. Immerhin rückte er so mehr und mehr in den regionalen Fokus.

Die Aufwertung des Areals rund um den Bahnhof Eisenstoa, die Aufstellung der Museumstraße, der Bau der Arberland-Halle und viele weitere Projekte, die noch heute Einfluss auf das Gemeindeleben haben, pflasterten den Weg von Bürgermeister Thomas Müller.

Er ordnete alles dem Wunsch nach Weiterentwicklung unter - zu viele Dinge, wie er im Nachhinein feststellt. Seine Familie beispielsweise zerbrach an seinem Engagement: Er trennte sich von seiner Frau, die beiden Kinder leben nicht bei ihm. Aus dem einst "freundlichen Jungen" wurde zudem ein kritischer, unangenehmer, weil dauerhinterfragender Politiker, der sich damit nicht nur Freunde machte.

"Ich hatte mir Ziele gesetzt, die ich mit allen Mitteln erreichen wollte."

Eine seiner Ideen allerdings scheiterte. Gerade von der CSU zu den Grünen gewechselt, kandidierte Müller 2011 als Eisenstoana Amtsinhaber (ehrenamtlich, aber in seinem Falle freiwillig hauptberuflich) in der Nachbar-Kommune Zwiesel als Bürgermeister-Kandidat. Er wollte seine Heimatgemeinde und den Glasort zusammenführen, "denn dann wären wir in vielen Bereichen unschlagbar gewesen". Der Traum platzte, da er es nicht nicht in die Stichwahl schaffte und sich seinem Kontrahenten Franz Xaver Steininger am Ende geschlagen geben musste. Nicht nur wegen dieser Niederlage entfremdete sich der 49-Jährige immer mehr von der Politik. Der „unehrliche Umgang“ innerhalb dieser eigenen Welt sowie die „unendlichen und eintönigen Sitzungen“ hätten letztlich dafür gesorgt, dass er 2014 bei den Wahlen nicht mehr antrat.

 

Der Abschied auf leisen Sohlen fand im Rückblick genau zum richtigen Zeitpunkt statt. Denn: "Ich befand mich damals in einem Zustand, den man heute wohl als Burnout einstufen würde." Thomas Müller fiel in ein Loch. Er lebte ohne große Orientierung in den Tag hinein - beruflich wie privat. Er führte kurzzeitig eine Buchhandlung, betrieb später Nationalpark-Läden. "Ich habe aber mehr und mehr gemerkt, dass das nicht mein Leben ist. Ich war in einer Sackgasse, hatte kein Geld mehr und steckte auch psychologisch in einer Krise. Ich wusste nicht, wie es weitergehen soll." Erst das Besinnen auf sein ursprüngliches Interesse - den Natur- und Umweltschutz - rettete den seinerzeit Mittvierziger vor dem Absturz ins Bodenlose.

Der langjährige Waldführer und Verfechter der Nationalpark-Idee wurde 2018 durch einen Fachartikel zufällig auf das Thema Waldbaden aufmerksam. Er begeisterte sich sogleich für diese Art der bewussten Begegnung mit der Natur. Er besuchte zahlreiche Seminare und wurde zum offiziellen Trainer der Deutschen Akademie für Waldbaden & Gesundheit ausgebildet. Müller fand zurück zu sich selbst und lebt seither nach dem Leitsatz "Nimm dich nicht so wichtig", den Papst Johannes XXIII. geprägt hatte.

"Ich weiß nicht mehr, warum und wann, aber irgendwann hatte ich das Verlangen, einen Handwerks-Beruf zu erlernen.

Und ich weiß wiederum nicht, warum, aber ich wollte Bäcker werden." Gesagt, getan.

Derzeit absolviert der 49-Jährige eine entsprechende Ausbildung bei der Biobäckerei Gottschaller in Malching, weshalb er seinen Lebensmittelpunkt nach Bad Füssing verlegt hat. Der Beweis dafür, dass er inzwischen wieder der Alte ist? Thomas Müller hat jedenfalls wieder Pläne geschmiedet und Ideen kreiert. Nach der hoffentlich erfolgreichen Gesellenprüfung will er den neuen Beruf mit seinem neuen Hobby verbinden und als berufliches Standbein etablieren. "Gutes Brot braucht Zeit - das ist ähnlich wie beim Waldbaden", stellt er fest, möchte aber nicht weiter auf seine Gedanken eingehen, da sie seiner Meinung nach noch nicht ganz ausgereift sind.

Vorerst genießt er - so komisch es für einen ehemaligen Bürgermeister und Versicherungsvertreter auch klingen mag - seine Zeit als Lehrling. Mit leuchtenden Augen erzählt er von eigentlich unbeliebten Aufgaben wie dem Putzen der Maschinen, das für ihn zu einer Art Meditation geworden ist. Trotz der körperlich anstrengenden Arbeitsstunden schwärmt er von seiner Bäcker-Ausbildung. "Ich sehe nun, was Arbeit bedeutet. Mein Respekt gegenüber den Menschen, die schwer arbeiten müssen, ist enorm gestiegen. Und ich weiß auch, dass Gutes seinen Preis hat - und auch haben muss."

Nach einer schier nicht endenden wollenden Suche mit so manchen Zwischenstationen, die er irrtümlicherweise als sein Ziel verstanden hatte, scheint Thomas Müller nun angekommen zu sein. Er hat sein persönliches Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben gefunden. So mutet es zumindest an. Denn der Bayerisch Eisensteiner ist bekanntlich ein wandelnder Widerspruch, ein Paradoxon. Für immer? Vielleicht...