Vom Wald das Beste. – Nationalparkregion Bayerischer Wald
WoidG'sicht: Helmut Geiss

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WoidG'sicht: Helmut Geiss

Musiker, Liedermacher, Schriftsteller, Maler, Erzieher, Internats- und Wohnstättenleiter, Verleger, Glasbläser, Vater, Großvater und Ehemann – der 71-Jährige Zwieseler fühlt sich in vielen Bereichen beheimatet, hat sich nie davor gescheut neue Wege zu gehen und Dinge auszuprobieren.

Helmut Geiss verstorben am 14. November 2023

Einer dieser Tausendsassa ist Helmut Geiss, in der Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald besser bekannt als „da Geiss Haejm“.

„Ich bin lebenssüchtig“, sagt er über sich selbst. „Es gibt nichts, was mich nicht interessiert.“

„Ich habe mich immer mit den Starken angelegt - ich wurde zwar in vielerlei Hinsicht schwer eingebremst, aber bei mir haben sie keine Leichen im Keller gefunden.“ Geradlinigkeit, Offenheit, Haltung und Rückgrat - Werte, nach denen Helmut Geiss sein bisheriges Leben ausgerichtet hat.

„Es gibt keine andere Möglichkeit, als geradeheraus zu sein“

Nach der Volksschule in Zwiesel hat er drei Jahre lang die dortige Glasfachschule besucht und den Gesellenbrief zum Glasapparatebläser erfolgreich absolviert. Parallel dazu begann er sich für die Musik zu interessieren und eigene Lieder zu schreiben. Es war die Zeit der Beat-Partys, der wachsenden Mähnen und des ersten Aufbegehrens gegen die Eltern-Generation. Sein musikalisches „Ur-Erlebnis“ hatte er dabei mit den „Thunderbirds“, einer regionalen Band um den „Grimm Ruul“, dessen Vater einer ganzen Generation Zwieselern das Gitarre spielen beigebracht hatte. 

Man schrieb das Jahr 1964, als sein Freund Sepp Molz und er „quasi im Vorbeigehen“ aus dem Pfeffer-Saal die für die beiden alles verändernden Töne wahrgenommen hatten: Es handelte sich um Rock'n'Roll - elektrische Gitarrenmusik zu wilden Rhythmen. „Wir waren beide hin und weg und haben uns von da an gegenseitig dazu angestachelt ein Instrument zu lernen. Es war die Geburtsstunde der „Soundboys“, die im Zwieseler Winkel und darüber hinaus bekannte Band von Helmut Geiss und seinen Mitstreitern. „Ich hab mir damals von der gesamten Verwandtschaft das Geburtstags- und Weihnachtsgeld im Voraus geben lassen, damit ich mir meine erste Gitarre für 69 D-Mark hab' kaufen können“, erinnert er sich. Von da an wurde geübt, bis die Finger brannten.

Erste Auftritte hatten die „Soundboys“ bei Geburtstagsfeiern, kleineren Festen und Hochzeiten. Größere Auftritte folgten bei Schulbällen auf der „Zwieseler Alm“, einem ehemaligen Kult-Wirtshaus in der Glasstadt. Doch auch bei Teenager-Partys in der Waldbahn und im Pfeffer-Saal traten die Musiker auf. „Zuerst haben wir den Leuten zugehört – jetzt hörten sie uns zu und klatschten sogar. Fürs Selbstbewusstsein war das überaus zuträglich“, schwelgt da Geiss Haejim in Nostalgie. „Die Soundboys waren eine wichtige Schule des Lebens, nicht nur in musikalischer Hinsicht. Wir haben uns nie an einen Wirt unter Wert verkauft, waren immer selbständig und haben alles rund um die Band selbst organisiert.“

Doch nicht alle waren begeistert von der „Neger-Musik“, wie viele Waidler die musikalischen Einflüsse aus Übersee einst bezeichneten. Einer seiner damaligen Lehrer verlangte von seinem Schüler sogar, dass dieser sich die langen Haare schneiden lassen. „Bis nach dem Fasching darfst du sie so behalten, dann musst zum Bader gehen“, soll er damals zu ihm gesagt haben. Die Musik als Auflehnung gegen die Älteren, gegen die Obrigkeit und das Spießbürgertum, das hatten sich die „Soundboys“ auf ihre Fahnen geschrieben - „obwohl wir inhaltlich keine Revoluzzer geben wollten“, wie der 71-Jährige im Rückblick betont.

Gegen den eigenen Vater, der mit 17 Jahren zum Kriegsdienst einberufen wurde und im Gefangenenlager der Amis auf den Rhein-Wiesen fast verhungert wäre, wollte er aber nicht rebellieren. „Er war ein guter Kerl, der sicherlich darunter gelitten hatte, dass sein Sohn den Amerikanern derart auf den Leim geht, wenn er ihre Musik spielt“, gibt Geiss heute offen zu.

Ein Bob-Dylan-Song brachte ihn erstmals zum Nachdenken über das, was in diesen Tagen in der Welt um ihn herum so alles passierte, insbesondere der grausame Krieg in Vietnam. Von der Einberufung zur Bundeswehr wollte er deshalb nichts wissen. „Ich war ein frommer Bub, hatte daher auch ethische Bedenken“, erinnert er sich. Sein außergewöhnlicher Ausweg: die Flucht nach West-Berlin. Dieses Vorhaben plante er im zarten Alter von 19 Jahren, mit seiner späteren Ehefrau Barbara.


„Ich wollte kein Soldat werden, ich war Pazifist. Und in Berlin hatte man einen eigenen Ausweis bekommen. Als West-Berliner musste man nicht zum Barras.“

 

Barbara und Haejm haben sich in Regen beim Plakatieren für die „Soundboys“ kennengelernt. Mittlerweile ist das Ehepaar seit 50 Jahren verheiratet. Vier Jahre verblieben die beiden in der geteilten Stadt im Osten Deutschlands, wo sich Helmut Geiss zunächst als Hersteller von Glühlämpchen für endoskopische Geräte in einer Fabrik verdingte. Nebenher trat er seine sozialpädagogische Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher an. Als Waidler mit christlich-katholischer Prägung konnte er, wie er berichtet, mit all den Fanatikern der 68er-Bewegung zunächst nur wenig anfangen. „In Berlin hab ich die geballte Ladung bekommen, aber diskutiert habe ich immer schon gerne und hatte auch keine Scheu davor, Dummheiten zu sagen.“

Ein Freund hatte ihn mal zu einem Vortrag bei den Spartakisten, einer weit im linken Polit-Spektrum angesiedelten Gruppierung, mitgenommen. Es ging um die politische Ökonomie von Karl Marx. „Ich habe da gar nix verstanden - ich war Arbeiter, Glasbläser.“ Ein Statement hatte er dennoch abgegeben, dass sie falsch dran sind, weil die Welt anders tickt“. Widersprochen hatte ihm keiner. „Die dachten wohl: Wenn da so ein bayerischer Proletarier den Mund aufmacht, muss man ihn reden lassen“, denkt Geiss zurück an die verquere Situation und lacht.

Trotz seiner großen Belesenheit blieb ihm der Zugang zu Themen wie diesen bis heute verwehrt. Die Kluft zwischen den Ansichten der Studentenschaft und denjenigen seiner Arbeitskollegen war ihm dabei stets bewusst. Radikalisieren lassen hat er sich nie. „Ich war immer für Friedfertigkeit, immer gegen Unrecht und Ausbeutung der Dritten Welt. Aber ich habe nie daran geglaubt, dass man mit Dogmen etwas ausrichten kann. Vielleicht war tatsächlich das, was ich gesungen und geschrieben habe, sogar revolutionärer als alles andere, weil ich nicht von Parteien oder Ideologien ausgegangen bin, sondern von vernünftigen, basisorientierten Überlegungen.“

Obwohl er sich viel mit alternativen Lebensgemeinschaften beschäftigt hatte, ist er mit dem Kommunenleben nicht wirklich warm geworden. Zu unordentlich, zu rauchig, zu dreckig. Als Waidler war er anderes gewohnt. „Sie wollten was Richtiges, aber mich hat gestört, dass es nur Gleichaltrige waren. Und die Welt besteht nun mal auch aus Kindern und Senioren – das war ein Grund, weshalb ich wieder zurück in den Woid gekommen bin.“

Als damals 23-Jähriger bekam er ein Angebot vom Augustiner-Klosterinternat in Zwiesel, dort als Erzieher zu arbeiten. Doch mit der Rückkehr tauchte plötzlich wieder ein altes Problem auf: die Einberufung zur Bundeswehr. Der Bescheid landete umgehend im Briefkasten. Seine Frau Barbara war zur damaligen Zeit schwanger. Er selbst befand sich noch im sog. Anerkennungsjahr. „Ich habe mir dann zugetraut, einen Antrag auf Verweigerung zu stellen.“ Eine Option, die ihm vor seiner Flucht nach Berlin noch nicht geläufig war. „Denn es genügte nicht zu sagen: Ich kann oder will nicht töten. Sondern da wurde man zerlegt; da spielten sich regelmäßige Dramen ab bei solchen Verhandlungen für Kriegsdienstverweigerer; das war eine Art Tribunal.“

Den Wehrdienst antreten musste „Jäger Geiss“ in der Regener Kaserne dennoch unmittelbar, da die Einberufung noch vor dem Verweigerungsantrag umzusetzen war. Bis zum Tag der erstmaligen Waffenausgabe konnte man laut damaligen Statuten nicht mehr „ablehnen“. Dieser fiel im Falle Geiss Haejm zusammen mit dem Tag, an dem auch seine Verhandlung am Kreiswehrersatzamt zu Deggendorf stattfand. „Das war schon dramatisch“, erinnert sich der Zwieseler. Nach eineinhalb Stunden stand fest, dass er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wird.

„Da wär ich dem Richter am liebsten um den Hals gefallen.“

Er musste demnach nicht ins Gefängnis und auch nicht zur Bundeswehr. Er konnte seine Ausbildung zum Erzieher bei den Augustinern beenden. „Vielleicht hat mir das klösterliche Image etwas geholfen“, denkt er heute zurück. Seine Kameraden in der Kasernenstube staunten jedenfalls nicht schlecht, als er ihnen verkündete, dass er von nun an nicht mehr zur Truppe gehörte. „Die wussten gar nicht, dass es so etwas wie Kriegsdienstverweigerer überhaupt gibt.“

Bei den Augustinern betreute er vier Jahre lang Schüler von der fünften Klasse bis zum Abitur. Gemeinsam mit den Kindern spielte er Fußball und sie musizierten zusammen. Er hätte auch länger bleiben können, doch: 

„Ich hatte mich vom Katholizismus bereits zu weit entfernt – mit der Scheinheiligkeit hatte ich abgeschlossen.“

Ein Inserat in der Süddeutschen Zeitung im Jahr 1977 machte ihn schließlich auf eine Stelle im Allgäu aufmerksam. Ein Internatsleiter für das neu errichtete Schulzentrum in Bad Wörishofen für mehrere hundert Schüler und Schülerinnen wurde gesucht. Chancen rechnete er sich zwar keine aus, doch er bewarb sich trotzdem – und wurde genommen. „Ich war damals 25 und wohl der jüngste Internatsleiter überhaupt. Die Schüler waren teils genauso alt wie ich“, blickt der heute 71-Jährige mit einem Lächeln auf eine „tolle Zeit“ zurück. „Ich habe das Internat wie ein Jugendzentrum geführt, wollte den Heranwachsenden nicht nur eine Herberge bieten, sondern ihnen auch etwas fürs Leben mitgeben.“

Zudem machte er sich – wie schon in Berlin – weiterhin Gedanken über Ordnungen des guten Zusammenlebens. „Ich habe – größenwahnsinnig wie ich bin – ein eigenes Utopia entworfen“, sagt er und lacht. „Ich dachte damals: Was Platon kann, das kann ich auch.“ Der Titel seines Werks, das er in kleiner Auflage in Buchform veröffentlichte, lautet: „Vom Leben der Echraner.“ Ein Wortspiel, das auf die „Arche Noah“ zurückgeht. „Politische Realisten würden wahrscheinlich dazu sagen: ein Märchenbuch, das sich nicht eignet für den Umbau der Industriegesellschaft.“ Doch das sei auch nicht sein Ziel gewesen. „Ich habe versucht das Ideale darzustellen – und mich nicht in den Niederungen der Realität festzufressen.“ Echranische Elemente sind Geiss zufolge etwa da zu finden, wo Leute miteinander reden und sich gegenseitig ergänzen oder guttun. „Wenn ich Kinderstimmen höre oder meinen Garten umgegraben habe, war das für mich echranisch.“

Apropos Garten: In diesem Terrain fühlt er sich besonders wohl. Als „Selbstversorger“ hatte er dort wirtschaften wollen und etliche Bücher darüber gelesen oder im Radio entsprechende Ausstrahlungen verfolgt. „In Berlin gab's eine Sendung über Landbau, die hat mich sogleich angesprochen. Ich wusste, dass ich nicht mein Leben lang Glühlämpchen blasen will. Meine Freunde meinten, ich soll in die Pädagogik gehen, was ich letztlich auch getan habe. Doch manchmal dachte ich mir: Ich möchte Bauer werden.“

Diesen Traum erfüllte er sich in der Froschau bei Langdorf, wo er bis heute sein kleines landwirtschaftliches Anwesen hegt und pflegt. Früher sogar mit Pferden und Geißen, ganz nach dem Vorbild seiner Großeltern. „Wir haben vieles dort angebaut, vor allem Kartoffeln.“ Sein Brot backt er heute noch selbst. Dafür verwendet er Mehl aus der eigenen Getreidemühle. Mit der Imkerei hatte er sich ebenfalls beschäftigt. Ein echter Hans Dampf (oder besser: Helmut Dampf) in allen Klassen eben...

Der Zwieseler sieht sich selbst als „chronischen Weltverbesserer ohne übertriebenes Sendungsbewusstsein“. Als „kleines Gegengewicht, gegen Dinge, die nicht in Ordnung sind“. In einem freien Land müsse man den Mund aufmachen, wenn nötig und wenn man meint, etwas zu sagen zu haben. Davon ist er bis heute überzeugt - „auch wenn das nicht immer karrierefördernd ist“. Er selbst habe sich angewöhnt regelmäßig anzuecken. „Und da es meistens wichtige und mächtige Leute waren, denen ich die Leviten gelesen habe, machte ich mich nicht sonderlich beliebt“, gibt sich Geiss, der sich als „berüchtigten Leserbrief-Schreiber“ bezeichnet, selbstreflektiert.

Die Musik begleitete ihn freilich auch im Allgäuer Alltag – mit gemeinsamen Auftritten der Schülerband „Rockhouse-Music“, die sich aus ständig wechselnden Internatsmitgliedern sowie seiner Frau Barbara am Bass, Tochter Astrid am Schlagzeug und seiner Wenigkeit an der Gitarre zusammensetzte. „Eine Familienband, die dann später auch mit meinen Liedern in Zwiesel aufgetreten ist. Ich bin damals wieder zu den Ursprüngen, zur Rock-Musik, zurückgekehrt.“ Mehr als 650 Lieder hat er im Laufe seines Lebens geschrieben und komponiert, von denen er jedes als  sein „Kind“ ansieht - und dafür kämpfen würde.

Dann, nach 15 Jahren in Bad Wörishofen, kam ein Anruf des späteren Regener Landrats Heinz Wölfl, der das Leben von Helmut Geiss erneut elementar verändern sollte. „Er hat mich gefragt, ob ich ein neugebautes Behindertenwohnheim der Lebenshilfe in Regen leiten möchte.“ Geiss hatte sich gut etabliert im Allgäu, sein Job wäre ihm wohl bis zur Pension sicher gewesen. „Aber ich wollte doch wieder heim in den Woid.“

Restlos überzeugt war er dennoch nicht von der Vorstellung, die Zelte in Südbayern abzubrechen. Er solle sich's einfach mal anschauen, habe Wölfl zu ihm gesagt. „Dann ist ein Schwerstbehinderter auf mich zugekommen und hat mich umarmt – und dann is ma d'Hennahaut g'rennt.“ Der Geiss'sche Aha-Moment. Seine Rückkehr in den Bayerwald war besiegelt. „Ich habe dann zehn Jahre lang das Heim geleitet und zudem verschiedene Außenstellen aufgebaut.“

Ein Job, der ihm viel abverlangte. Am Ende zu viel. „Ich war immer eine Kerze, die an zwei Enden brannte“, blickt er heute ungern auf jene schweren Zeiten zurück. Zunächst Bluthochdruck, dann eine schlimme Migräne – und schließlich der Burnout. Ein, wie er es nennt, traumatisches Erlebnis. „Ich bin gegen eine Wand gerannt.“ Der anspruchsvolle Beruf als Pädagoge, die Beschäftigung als Liedermacher, Maler, Künstler, als selbstversorgender Bauer und Vater – das alles war einfach zu viel für ihn. „Da hat's mich aufn Oasch niederg'haut.“

Doch aus der Krise wurde eine Chance. Geiss wurde Früh-Rentner. „Ich war körperlich nicht beeinträchtigt. Die Arbeit in der Landwirtschaft tat mir gut. Aber diese ständige seelische Beanspruchung, diese große Verantwortung – das fiel alles weg. Im Nachhinein eine Erleichterung.“ Dennoch war die Umstellung überaus groß: Für ihn ging's von hundert auf null zurück. Die Arbeit fehlte ihm anfangs sehr. „Vorher wollte immerzu jeder etwas von mir, ich war unglaublich wichtig, hab überall mitgesprochen. Plötzlich war nur noch meine Frau da, meine Kinder, die mich ab und zu besuchen kommen und die paar Ziegen und Schafe im Garten...“

Seinen Humor hat Helmut Geiss jedenfalls bis heute nicht verloren. Er hat gelernt, dass er seit seinem Austritt aus dem Berufsleben, das tun kann, was er tun will. Wie etwa das Überarbeiten seiner früheren Lieder, die er bis heute auf dem eigenen YouTube-Kanal für die Allgemeinheit zugänglich macht. „Wäre ja schade, wenn man die vergisst.“ Seine Priorität liegt heute auf den beiden Kindern und den Enkeln - „danach kommt lange nix“. Und dann kommt die Musik.

Die große Musikkarriere wollte er nie verwirklichen, wie er sagt. Zu viel hatte er in den vergangenen Jahrzehnten vor allem arbeitstechnisch um die Ohren. „Es war schwer genug an einem Wochenende irgendwo ein Konzert zu geben“, blickt er zurück. „Und wenn du dich vermarkten lässt, schicken die dich rum in der Welt.“ Leute, die ihn anzutreiben versuchten, habe es im Laufe der Zeit immer wieder mal gegeben. Ende der 90er hatter er 25 CDs auf einen Schlag in Eigenregie herausgebracht. Doch nur eine davon („Ausgewählte Hirnbazl“) war professionelleren Charakters. „Doch dann waren meine Unterstützer plötzlich weg, wurden vermutlich aus politischen Gründen zurückgepfiffen.“ Mit der Musik hatte Helmut Geiss eigenen Aussagen zufolge nie etwas verdient. „Ich habe immer nur so viel gemacht, dass ich etwas Neues produzieren kann.“

Die erste LP veröffentlichte er 1979. Dazu kaufte er sich ein Vierspur-Tonbandgerät, das er über etliche Stunden hinweg zunächst in den heimischen vier Wänden Kanal für Kanal bespielte - und dann im Tonstudio zusammenschneiden ließ. 1981 folgte die zweite LP. Geiss beherrscht nahezu jedes Instrument. Er hat sich das meiste selbst beigebracht.

„Aber meine Stärken lagen immer im kreativen Einsetzen des Wenigen“, beschwichtigt er bescheiden.

Zu seinen bedeutsamsten Auftritten zählt die dreimalige Teilnahme am Nürnberger Bardentreffen Anfang der 80er Jahre. Ebenso dreimal trat er beim Politischen Aschermittwoch im Wolferstätterkeller in Vilshofen auf, wo er „die grünen Stars Joschka Fischer, Otto Schily und Anke Vollmer und ihr ökologisches und friedenspolitisches Anliegen unterstützte“. Ein Engagement, für das sich Pazifist Geiss heute schämt, wie er sagt, denn: „Als der spätere Außenminister Fischer den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien mitanzettelte, traf mich das wie ein Schlag.“

In Schwandorf setzte er sich 1985 mit Gstanzln für den Kampf der Oberpfälzer gegen die Atomfabrik in Wackersdorf ein, 2012 sang er in Niederaltteich dem ehemaligen Ministerpräsidenten Seehofer für den Erhalt des letzten Stückes frei fließender Donau ins Gewissen. Der Zwieseler war dabei einer der ersten Liedermacher, die stets in bairischer Mundart gesungen haben. 1970, die Beatles hatten sich gerade getrennt, präsentierte er sein erstes boarisches Stück. „Alle hatten darüber gelacht – doch ich wusste, dass Songs im Dialekt viel authentischer sind als auf Hochdeutsch. Es ist unsere Sprache und ich kann mich in keiner anderen besser ausdrücken. Da ist ein Gleichklang da - im Denken und Fühlen.“

Übers „Zeisal auf da Dannaspitz“ wollte er sowieso nie singen, sondern vor allem über alltägliche Probleme, über Gefühle. Er wollte musikalisch-zeitgeschichtliche Dokumente erschaffen und kein ausschließlich unterhaltender Fredl-Fesl-Abklatsch sein. Als Vorbilder nennt er den Roider Jackl, den Baumsteftenlenz (Paul Friedl) und die Emerenz Meier. „Ich denke, dass ich bei vielen den Ruf eines politischen Sängers habe. Doch ich hab vielleicht 50 politische Songs geschrieben – der Rest ist unpolitisch.“ Zu seinen Lieblingsstücken zählt etwa die „Behmische Muse“ von Paul Friedl. Dieses Lied, hat er freilich auf seine ganz eigene Art und Weise eingespielt.

„Meine Lieder waren plötzlich da“, antwortet er auf die Frage,
wie seine Stücke entstanden sind.

Das Inhaltliche, der Text, stand dabei stets im Vordergrund – erst danach ging's ans Komponieren. „1981 hatte ich 40 Lieder geschrieben – heute ist's vielleicht noch eines pro Jahr“, erzählt der Waidler, der in den 80ern auch immer wieder mal im Rundfunk (Bayern 2) zu hören war. Fans und Anhänger habe er vor allem dort gehabt, wo er zu seiner aktiven Zeit seine Auftrittsschwerpunkte hatte: im Allgäu, im Münchener Raum und in Franken. „Damals hätte ich schon davon leben können. Aber es gibt wohl nichts Traurigeres als einen Barden, der mit seiner unerhörten Botschaft über Jahrzehnte durch die Lande zieht und doch nichts bewirkt, es aber machen muss, um überleben zu können.“ Dieser Lebensstil entsprach nie seiner Natur.

Ab und zu würd's ihn schon noch jucken, einen Auftritt auf größerer Bühne hinzulegen, wie er offen zugibt. „Aber nachdem ich mir vor ein paar Jahren mit der Axt den Zeigefinger abgehackt habe, muss ich mit drei Fingern Gitarre spielen“, berichtet er und ergänzt: „Das haut schon noch hin – ein Mark Knopfler war ich eh noch nie.“

Als Perfektionisten würde er sich nicht in allen Bereichen bezeichnen wollen. Beim Texten und Erstellen von Liedern: ja. Ansonsten sei er „ein Improvisierender, ein Pfuscher, ein Dilettant“.

Und vor allem ein Wahrheitsfanatiker. "Es gibt so viele Wahrheiten und es gibt so viele Fragen, die man nicht stellen darf."

 

Grundsätzlich möchte er auch in den kommenden Jahren, die ihm noch bleiben, die Leute mit seinen künstlerischen Erzeugnissen und seinen philosophischen wie hinterfragenden Anschauungen zum Nachdenken anregen. „Aber ich bin nicht im Besitz der allumfassenden Wahrheit - ich bin nur einer von vielen Wanderern dorthin“, sagt er – und fügt hinzu. „Ich sehe es heute als Lebensaufgabe an, manche meiner Irrtümer wieder richtig zu stellen.“