Vom Wald das Beste. – Nationalparkregion Bayerischer Wald
Vom Wald das Beste: Josef Wolf aus Riedlhütte

Neuschönau

Vom Wald das Beste: Josef Wolf aus Riedlhütte

Riedlhütte/Neuschönau. Im fortgeschrittenen Alter von 91 Jahren macht er nun genau das, wofür er in seinem bisherigen Leben nur wenig bis gar keine Zeit übrig hatte. Josef Wolf lebt einfach so in den Tag hinein. Er genießt das Sommerwetter und das Miteinander mit seiner ebenfalls noch sehr rüstigen Frau Maria.

Spricht der Riedlhütter von seinem - auf den ersten Blick eher gewöhnlich anmutenden - Alltag, ist ihm eine tiefe Zufriedenheit anzumerken. All die Probleme der Vergangenheit scheinen ausgeräumt, all die Sorgen schwieriger Zeiten längst vergessen.

Einige auserwählte Aufgaben übernimmt er jedoch weiterhin gewissenhaft und mit voller Überzeugung, denn: "Ganz ohne Oawad geht's aa ned". Dazu zählt seine Tätigkeit als gute Seele der „Cafe-Alm“ in Neuschönau, die seiner Tochter gehört und längst zu seiner zweiten Heimat geworden ist. Dazu zählt aber auch eine Art Dauerflohmarkt, den Josef Wolf leidenschaftlich gerne betreibt - fernab aller wirtschaftlichen Interessen.

Die Räume der kleinen Hütte hinter dem Café hat Josef Wolf zu seinem persönlichen Reich umfunktioniert. Der darin beheimatete Flohmarkt ist dabei kein herkömmlicher Trödelladen, sondern gleicht vielmehr einem Museum. Denn dort hat der 91-Jährige allerlei Gegenstände ausgestellt, die verschiedene Stationen seines Lebens repräsentieren. Biografische Zeitzeugen. Wichtiger als der Umsatz scheinen für den rüstigen Senioren dabei die Erklärungen und kleinen Geschichten über die einzelnen Ausstellungsstücke zu sein. Eng verbunden mit all jenen Unikaten ist der Rohstoff Glas, Josef Wolfs Lebensinhalt: "Seit mehr als 70 Jahren ist das Glas mein treuer Begleiter", fasst er die schicksalshafte Liaison in Worte.

"Seit mehr als 70 Jahren ist das Glas mein treuer Begleiter"

Geboren und aufgewachsen in Höhenbrunn in der Nähe von St. Oswald, also inmitten des einstigen Glaszentrums des Bayerischen Waldes, war es nur eine Frage der Zeit, bis Josef Wolf mit dem kostbaren Material in Kontakt treten würde. Bevor er allerdings mehr als vier Jahrzehnte in den Dienst der Glashütte „Nachtmann“ in Riedlhütte treten sollte, prägten zwei Ereignisse das Leben des jungen Mannes. Eines davon war der frühe Verlust seiner Mutter, die bei der Geburt seiner jüngeren Schwester, die nur wenige Tage ebenfalls starb, das Zeitliche segnete. „Das war damals einfach so", betrachtet er das, was man heute als Tragödie bezeichnen würde, mit nüchternem Blick. 

Anfang des 20. Jahrhunderts standen im Bayerischen Wald derlei Schicksalsschläge auf der Tagesordnung. Momente der Trauer und des Innehaltens gab es nicht, wie Josef Wolf erzählt. "So richtig wahrgenommen haben mein Bruder und ich den Tod meiner Mutter nicht - wir waren noch zu jung", erinnert er sich. 

Das Glas spielte auch nach der Zeit bei Nachtmann eine Rolle in seinem Leben: Als Schau-Glaser im Waldgeschichtlichen Museum in St. Oswald lernte er über 20 Jahre hinweg die ausschließlich angenehmen Seiten seines Berufes kennen. Eine Win-Win-Situation für das Museum und den Waidler. Einerseits konnten die Verantwortlichen mit Josef Wolf einen Glasexperten an Land ziehen, dessen Wissen auf 40 Arbeitsjahren beruht. Andererseits konnte der Riedlhütter im Rahmen seines Rentner-Daseins der kreativen Ader freien Lauf lassen. "Ich durfte den Besuchern so einiges zeigen. Das hat mir Spaß gemacht. Und als Entschädigung hat es immer wieder ein tolles Essen gegeben, wenn etwa Prominenz ins Haus gekommen ist."

"Wenn da Kopf stimmt, stimmt alles."

Es war eine schöne Zeit, die nun vorbei ist. Kein Grund jedoch für Josef Wolf wehmütig zu sein. "So ist das Leben nun mal", stellt er ohne Bedauern fest. Genauso wie es jahrelang normal für ihn war, frühmorgens in die Arbeit zu gehen, gehört das ein oder andere Wehwehchen  inzwischen zu seinem Alltag dazu. Erst im vergangen Jahr musste er an der Hüfte operiert werden. Trotz seines fortgeschrittenen Alters wollte er diesen Eingriff unbedingt über sich ergehen lassen, um weiterhin mobil zu sein. Denn das Leben sei zu schön, um es vorzeitig an den Nagel zu hängen, wie Josef Wolf betont. Seine Faustregel: "Wenn da Kopf stimmt, stimmt alles."

Die Altersmilde scheint Josef Wolf voll erfasst zu haben.

Zur damaligen Zeit stellte Glas aus dem Bayerwald ein wahres Qualitätsmerkmal dar - Billigprodukte aus Fernost waren noch weit entfernt. "Dass die Glasproduktion im Woid irgendwann einmal fast verschwinden wird, war damals überhaupt nicht absehbar. Das Geschäft brummte", macht der rüstige Senior deutlich, der vom Produkt Glas nach wie vor überzeugt ist. Der Umgang mit diesem filigranen Material erfordere viel Fingerspitzengefühl und auch eine gewisse kreative Ader.
Gleichzeitig sei Glas sehr flexibel. "Es ist erst kaputt, wenn man sich nicht mehr damit beschäftigen will. Erwärmt man es, kann man es immer wieder bearbeiten." Das, was er von sich gibt, ist durchdacht und beruht auf jahrelanger Erfahrung.

Dass Josef Wolf ein durchdachter Mann ist, kann seine Frau Maria, mit der er seit 1952 verheiratet ist, bestätigen. "Außerdem ist er eine typische Jungfrau. Er ist sehr empfindlich. Aber wir haben uns immer wieder zusammengerauft." Wolfs gemütliches, ruhiges Wesen lassen diese Beschreibung etwas unwirklich erscheinen. Der 91-Jährige ist ein angenehmer, unterhaltsamer Erzähler, der - das beweist auch seine Liebe zur „CafeAlm“ - gern unter Leuten ist. "Man wird einfach ruhiger mit der Zeit", geht er auf die Aussage seiner Frau ein, bestätigt sie somit indirekt - und beschenkt seine Liebste mit einem wissenden Lächeln. Die Altersmilde scheint Josef Wolf voll erfasst zu haben. Er ist zufrieden.

Obwohl, wie er selbst immer wieder feststellt, sein Kopf langsam „nochlossd", kann sich der 91-Jährige die wichtigsten Eckdaten seiner Biografie noch recht gut ins Gedächtnis rufen. Freilich ist es nahezu unmöglich, die vielen zeitlichen Angaben auf deren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Die Überzeugung, mit der Josef Wolf die genauen Zeitpunkte jedoch wiedergibt, lässt jedoch keinen Widerspruch zu.

Geld musste her - egal wie.

Vorschriften beachten, Akkordarbeit, deutlich unsozialere Arbeitszeiten als heute - nur drei Monate nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft schaffte der Waidler wieder in der Glasfabrik Riedlhütte. Geld musste her - egal wie. Eventuelle psychische Folgen des Krieges wurden dabei außer Acht gelassen. Der Mensch galt ausschließlich als Arbeitskraft, als Mittel zum Zweck. "Ja, wir mussten schon was leisten", beschreibt der 91-Jährige jene harten Momente. Nur an Freitagen, am sogenannten "Schindadog", ging er für sich selbst zur Arbeit. Gegen eine kleine Aufwandsentschädigung durften die Glasarbeiter dann ihre eigenen Produkte herstellen - und anschließend auf eigene Faust verkaufen. Die Schnupftabakbehältnisse und Schnapsgläser etwa, die Josef Wolf heute bei seinem Flohmarkt anbietet, stammen aus der damaligen Zeit.

Erst in den 60er Jahren wurden die Arbeitsbedingungen besser, die Gewerkschaften stärker. "1961 wurde drei Wochen lang gestreikt - wir wollten mehr Urlaub", blickt der Glasmacher zurück. "Ich habe diese Zeit genutzt, um unser Haus zu bauen." Welche Stellung die Glashütten-Leute im Bayerischen Wald - allen voran in Riedlhütte - genossen, wird allein an der Tatsache deutlich, dass er als junger Mann "vom Betrieb" ein sehr günstiges Baugrundstück zur Verfügung gestellt bekam. Die Wertigkeit der Arbeiter nahm immer mehr zu, deren Rechte ebenfalls, sodass Josef Wolf zufrieden auf seine Arbeitsjahre bei Nachtmann zurückschaut: "Doch, schon. Wir hatten es gut. Wir mussten zwar was leisten, wurden aber auch ordentlich dafür entlohnt."

Sein Vater heiratete noch im selben Jahr ein weiteres Mal. Eine Ersatz-Mutter für die Kinder sowie eine Arbeitskraft auf dem kleinen Bauernhof musste her. Die Liebe im Speziellen so wie Gefühle der Zuneigung im Allgemeinen waren zweitrangig. Es herrschte der nackte Pragmatismus. "Ich habe mich mit meiner Stiefmutter gut verstanden. Sie war eine fleißige Frau", beschreibt er die Zweitmutter, die er bei seinen Erzählungen liebevoll nur "Mamee" nennt. Obwohl die Menschen im Woid zu Kriegszeiten und auch danach nicht gerade mit Wohlstand gesegnet waren, kann Josef Wolf auf eine erfüllte und glückliche Kindheit zurückblicken, wie er immer wieder betont.

Der Beginn eines neuen, hoffentlich besseren Lebens. 

Den "Aufstieg des Bösen", die Anfänge der Nazis in Deutschland, nahm er als Heranwachsender zunächst nicht als Gefahr wahr, sondern eher als Abenteuer. Die schneidigen Uniformen, die prachtvollen Paraden, die Propaganda der NSDAP überdeckten vorerst die grauenvollen Pläne des Hitler-Regimes. Auch Josef Wolf ließ sich von dieser Euphorie anstecken: Nach erfolgreichem Schulabschluss und der Ausbildung bei Nachtmann in Riedlhütte meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst. Als Soldat der Wehrmacht wurde er bei der Luftwaffe eingesetzt - eine Tätigkeit hinter der unmittelbaren Front.
"Ich habe nie auf irgendjemanden geschossen", betont der Waidler. Der Zweite Weltkrieg - ein widerwärtiges Trauma, das auch den 91-Jährigen prägte. Ein Trauma, das Josef Wolfs Generation schnell aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen versuchte.

Nach dem Ende des Schreckens und drei Monaten in Gefangenschaft in Frankreich kehrte Wolf zurück in seine Heimat. "An diesen Moment kann ich mich noch genau erinnern. D‘Mamee war gerade auf dem Acker beschäftigt. Als sie mich gesehen hatte, brachte sie nur noch 'Omei, da Josef' hervor - und fiel mir im nächsten Moment um den Hals.“ Ein Tag, den der Riedlhütter nie vergessen wird. Der Beginn eines neuen, hoffentlich besseren Lebens.