Vom Wald das Beste. – Nationalparkregion Bayerischer Wald
Vom Wald das Beste: Heinz Stoiber

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Vom Wald das Beste: Heinz Stoiber

Kirchdorf im Wald. Heinz Stoiber ist 73 Jahre alt. Und deshalb scheint es auf der Hand zu liegen, dass eine Geschichte über ihn einem Rückblick auf sein bisheriges Leben gleichkommt.

Folgende Zeilen sollen jedoch nicht als abschließende Rühmung eines Mannes verstanden werden, der sich mehr und mehr zurückzieht – und praktisch auf sein Ableben wartet.

Im Gegenteil. Dem Kirchdorfer machen freilich die Wehwehchen des Alters bereits zu schaffen. Nichtsdestotrotz sprüht Heinz Stoiber geradezu vor Lebensfreude: sein schelmisches Lächeln, die wachen Augen, die lustigen Anekdoten – sie alle sind Zeugen dafür.

Etwas Wehmut kommt bei ihm auf, als er sich im Gewölbesaal der in Freyung ansässigen „Volkmusikakademie Bayern“ auf einem der vielen Stühle niederlässt -  und über diese Einrichtung zu sinnieren beginnt. "Eine solche Heimat für Musikanten hätte es schon vor Jahren geben müssen", sagt er  - mehr zu sich selbst als zu seinem Gegenüber.

Eine Aussage, die deutlich macht, dass seiner Meinung nach die Volksmusik lange Zeit ein Nischen-Dasein im Bayerischen Wald fristete. Die jedoch ebenso die Freude des 73-Jährigen darüber ausdrückt, dass diese Art von Musik auch hierzulande endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

"Mei Hoamat wa owa scha owei da Woid"

In der Familie Stoiber stellt traditionelle Musik seit jeher einen von wenigen Ankerpunkten dar. Denn bereits im Kindesalter wechselte der junge Heinz regelmäßig seinen Wohnort - vor allem zwischen Feucht bei Nürnberg und dem Zwieseler Raum pendelte er gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern hin und her.

Die Wirren der Nachkriegszeit, die Suche nach Arbeit sowie Familienstreitigkeiten lagen jenem Vagabunden-Leben hauptsächlich zugrunde. "Mei Hoamat wa owa scha owei da Woid", wie er selbst betont. Er fühlte sich vor allem dann Zuhause, wenn er im Wirtshaus seiner Großmutter väterlicherseits, in "Binderhäusl" zwischen Lindberg und Zwiesel gelegen, zugegen war.

Dort spürte er so etwas wie Nestwärme, dort nahmen auch die Berührungspunkte - zunächst unbewusst, dann aus eigenem Antrieb heraus - mit der Volksmusik mehr und mehr zu. In der Gaststube der Oma wurde getrunken, diskutiert, ab und an gestritten oder gar gerauft - und vor allem wurde regelmäßig zur Ziehharmonika, Zither, Trompete, Posaune oder Gitarre gegriffen.

"D‘Leid warnd oam, owa g'miatlicha und aa glücklicha wia heid", erinnert sich Stoiber an jene Zeiten im vom Wirtschaftswunder geprägten Deutschland zurück. Wie die gesamte Nachkriegsgeneration zählte auch Familie Stoiber nicht zu den Reichen - "g‘hungad hod uns owa nie“, sagt er heute und ergänzt nach kurzer Unterbrechung: „Schä war's!"

"D‘Leid warnd oam, owa g'miatlicha und aa glücklicha wia heid"

Die Liebe zur Volksmusik, insbesondere zum Akkordeon, war keine auf den ersten Blick. Sie fiel mit etwas Abstand aber umso heftiger aus. Auf den ausdrücklichen „Wunsch“ des Vaters hin, der damals mit seinem Bruder Fritz eine kleine Band, die Ursprünge der "Stoiber Buam", unterhielt, startete Heinz Stoibers Musikkarriere mit einer kleinen Ausgabe jenes Instruments.

"Ea hod mas hig‘schdeijd und nix gsogt - owa i ha glei g‘wissd, wos lous is", erinnert er sich. Erste Stücke brachte er sich selber bei, lernte vor allem Begleitakkorde, um gemeinsam mit seinem Vater und seinem Onkel auftreten zu können. "Mit zehn Joa is‘ ma z‘gloa woan", erzählt der Kirchdorfer. "Aus lauter Zorn ha i‘s dann fünf Joah nimma ag‘langd."

Im Rückblick kann jene kurze, pubertäre Widerstandsphase als schöpferische Pause und endgültiger Start der Karriere des weitum bekannten Musikers interpretiert werden. Anfang der 1960er legte er sich nicht nur ein größeres Akkordeon zu, sondern lernte bei einem Musiklehrer auch das Lesen von Noten.

"Des war a Drama", winkt er heute mit einem Schmunzeln ab. Doch die mühsame Schule lohnte sich. Denn dieses Mal war der junge Bursche sofort Feuer und Flamme für sein Instrument - aus eigenen, freien Stücken. "D’Erfolge mid meina Vawandtschaf hamd me a’g‘schbornt."

"Noch am Fernseh-Auftritt is zwoa Wochan guad g‘laffa - dann is owa wieda ruhiger woan…"

Beruflich konnte Heinz Stoiber nie so recht Fuß fassen - er arbeitete u.a in der Glasfabrik Theresienthal, war Lkw-Fahrer und Postbote in Fürstenfeldbruck. Nur intervallmäßig, vor allem wenn größere Touren anstanden, konnte er von der Musik leben - und das, obwohl die "Stoiber Buam", die in unterschiedlichen Besetzungen auftraten, seinen Aussagen zufolge die erste Volkmusik-Gruppe überhaupt im deutschen Fernsehen war und zahlreiche Tonträger veröffentlichte.

"Es warnd owei nur Zwischenhochs", berichtet er. "Noch am Fernseh-Auftritt is zwoa Wochan guad g‘laffa - dann is owa wieda ruhiger woan…"

Heinz Stoiber gehörte jedoch nicht zu denen, die Däumchen drehend auf dem heimischen Sofa saßen und auf lukrative Aufträge warteten. Gemeinsam mit seinem Vater und Onkel, seinen Brüdern sowie später mit seinen Söhnen enterte er nach Lust und Laune etwaige Feste, Wirtshäuser und Biergärten, verteilt auf ganz Deutschland.

"Wenn uns s‘Narrisch kema is, hamma wida fuad." So musizierte der Waidler beispielsweise acht Tage am Stück in einem Gasthaus in Ruhpolding, unterhielt die Besucher eines Weinfestes im Rheinland oder spielte auf dem Oktoberfest und im Münchener Hofbräuhaus. Der Verdienst fiel dabei oft nicht gerade üppig aus: einmal den Hut herumreichen, Kost und Logis, eine Brotzeit und eine Halbe Bier.

"Wenn uns s‘Narrisch kema is, hamma wida fuad."

Die scheinbare Allgegenwärtigkeit der "Stoiber Buam" führte dazu, dass die Musiker aus dem Bayerischen Wald - insbesondere im "Oberland", wie der bärtige Zeitgenosse mehrmals betont – eine gewisse Berühmtheit erlangen konnten und sie mit zahlreichen Größen der Volksmusik-Szene „auf Du und Du“ waren.

"Bo da Familie Well ha i sogoa längane Zeit amoi g‘wohnt", erzählt er von seinen Kontakten zu den Mitgliedern der legendären "Biermösl Blosn".

"Mia meng uns scha schdoag"

kommentiert er diesen Teil seiner Biographie.

Derartige Anekdoten klingen aus dem Mund von Heinz Stoiber so, als seien sie das Normalste überhaupt. Generell gilt der heute in Kirchdorf im Wald lebende Rentner als bescheidener Mensch, dem sein zweifelsohne vorhandener Ruhm nicht zu Kopf gestiegen ist. Aufgrund von Problemen mit dem Trommelfell hört er etwas schlecht. Ein Umstand, den er mit Humor nimmt – und der ihn nicht daran hindert, gerne von Menschen umgegeben zu sein. Ein guter Erzähler, ein Bazi wie er im Buche steht – mit seinem Trachtenhut, den er stets etwas schief auf seinem Kopf trägt. Sein Markenzeichen.

Eine der wenigen Konstanten neben der Musik ist seine Familie, seine Frau, die er bereits in jungen Jahren geheiratet hat, sowie seine beiden Söhne, die die Musikleidenschaft des Vaters teilen. Typisch Stoiber dabei: Da seine Gemahlin einst nicht mit ihm nach Oberbayern umziehen wollte, ließ er sich in den 70er Jahren kurzerhand von ihr scheiden, um sie zehn Jahre später ein zweites Mal zu heiraten. "Mia meng uns scha schdoag", kommentiert er diesen Teil seiner Biographie.

Der 73-Jährige ist dabei keiner, der sich über etwas den Kopf zerbricht - wobei diese Charaktereigenschaft keinesfalls negativ ausgelegt werden darf. Er ist ein Lebemensch, ein Bauchtyp.

Ein Musikant durch und durch, wie viele bestätigen können. "D‘Muse is mei Freid", betont er in diesem Zusammenhang noch einmal – und ergänzt ohne große Umschweife: "I bi hoid wia i bi.“ Ein sympathisches, vielsagendes Lächeln folgt.

"D‘Muse is mei Freid"

Danach gefragt, was er im Rückblick anders gemacht hätte in seinem Leben, muss Heinz Stoiber nicht lange überlegen: "I hätt me a weng mehr um mei Familie kümmern soin." Es herrscht ein kurzer, nachdenklicher Moment der Stille in der Volksmusikakademie.

Doch nur kurz darauf rückt er seinen Hut wieder zurecht - und sogleich sind das schelmische Lächeln, die wachen Augen und die lustigen Anekdoten wieder da…