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Vom Wald das Beste: Ex-Fussballprofi Heinz Wittmann aus Zwiesel im Portrait

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Vom Wald das Beste: Ex-Fussballprofi Heinz Wittmann aus Zwiesel im Portrait

Zwiesel. 14. September 1968. Borussia Mönchengladbach trifft in der noch jungen Fußball-Bundesliga auf Hannover 96. Auf der einen Seite der in der Form seines Lebens spielende Abwehrrecke Heinz Wittmann aus Zwiesel - der damals 25-Jährige hatte soeben eine Einladung von Bundestrainer Helmut Schön zu einem Grundlehrgang der Nationalmannschaft erhalten.
Auf der anderen Seite der vor der Saison von Gladbach nach Hannover gewechselte Stürmerstar Jupp Heynckes – nicht nur auf dem Platz ein guter Freund des Bayerwäldlers.
Wie es das Schicksal will, treffen beide - buchstäblich - direkt aufeinander: Bei einem Zweikampf mit dem heutigen Bayern-Trainer verletzt sich der Waidler schwer. Diagnose: Schien-und Wadenbeinbruch. Ein heftiger Rückschlag für den ehrgeizigen Sportler. Die damalige Medizin ist noch nicht so weit entwickelt wie heute - der Zwieseler fällt mehr als ein Jahr aus. "Den Jupp trifft aber keine Schuld", betont Heinz Wittmann, den bis zum heutigen Tage eine enge Freundschaft mit dem Triple-Trainer verbindet, in der Rückschau. "Ich ziehe voll auf, versuche den Ball zu treffen. Doch der Jupp ist eher am Ball, wir stoßen unglücklich zusammen. Sowas passiert im Eifer des Gefechts."

50 Jahre später. Heinz Wittmann sitzt entspannt in seinem Haus in Zwiesel - bei Kaffee und Krapfen. Er berichtet gern von seiner Zeit im Fußball-Oberhaus. Und blickt gern auf die insgesamt 123 Spiele in der deutschen Profi-Liga sowie seine vier Einsätze im Europapokal zurück. Vor allem, wenn er über seine zwei Meisterschaften und den Pokalsieg mit Borussia Mönchengladbach, der legendären Fohlenelf um Günther Netzer und Berti Vogts, spricht. Einer der wenigen Momente, in denen sich der heute 74-Jährige mit seiner erfolgreichen Vergangenheit brüstet. Ansonsten ist er die Bescheidenheit in Person. Das bestätigt auch seine Frau Erna, mit der er seit 1965 verheiratet ist: "Heinz ist absolut kein Angeber. Manchmal ist er sogar etwas schüchtern."

"Heinz ist absolut kein Angeber. Manchmal ist er sogar etwas schüchtern."


Neben dem Platz ist Wittmann ein ruhiger Charakter, eher unauffällig. Auf dem Platz war er hingegen dank seines Ehrgeizes, seines Durchsetzungsvermögens und auch dank seines fußballerischen Talents der geborene Abwehrspieler. Er schonte sich und auch seine Mitspieler nicht – und das von Beginn seiner Karriere an. Auf dem Bolzplatz im Zwieseler Stadtteil Lommermühle verbrachte er unzählige Stunden. Seine Eltern - der Vater war Graveurmeister, die Mutter Hausfrau - ließen ihm in der Nachkriegszeit den nötigen Freiraum, sodass der junge Bursche sein Talent verfeinern konnte. Eine wichtige Rolle spielte dabei sein etwas älterer Jugendfreund Günther Karl. "Er war eine Art Vorbild für mich. Wir haben immer gemeinsam gespielt - auch später beim SC Zwiesel."

In den Traditionsverein der Glasstadt trat Heinz Wittmann mit elf, zwölf Jahren ein - und musste fortan fast ausschließlich gegen ältere und größere Gegenspieler ran. Eine harte Schule, die ihn seit jeher geprägt hat. "Spätestens, als mich der gegnerische Stürmer richtig kennengelernt hatte, wurde ich respektiert." Der kleingewachsene Zwieseler, der nach dem Abschluss der Volksschule eine Ausbildung zum Steuerberater absolvierte, blieb nicht lange ein Unbekannter. Nach dem überraschenden Weltmeistertitel 1954 professionalisierten sich die Vereine allmählich, der Verband setzte auf eine nachhaltige Förderung des Nachwuchses. Und auch Heinz Wittmann profitierte von diesem Aufschwung.

"Ich kann mich noch genau erinnern, als ich den Brief vom Bayerischen Fußball-Verband bekommen habe. Man wollte mich bei einem Sichtungslehrgang dabei haben." Der 15-jährige Jugendliche musste plötzlich nach München, in die Großstadt - ohne Eltern. "Gott sei Dank hat mich meine Familie immer unterstützt. In der damaligen Zeit war das keine Selbstverständlichkeit." Wittmanns Einsatz hatte sich gelohnt: Der Bursche vom Land hinterließ an der Grünwalder Straße einen bleibenden Eindruck. Zu seinen Mitspielern gehörte bereits unter anderem der spätere Weltklasse-Torhüter Sepp Maier "Ja, da Sepp war immer schon a lustiger Typ", erinnert er sich heute.

Erinnert er sich an Anekdoten wie diese, lacht er gerne - und viel. Heute kann er sich darüber amüsieren. In den frühen 60er Jahren hatte er für derlei Späße jedoch keine Nerven. "Ich hatte einen riesengroßen Ehrgeiz", sagt er. Genau diese Einstellung verhalf ihm dann auch zum großen Sprung zu den Profis. Eine Schlüsselrolle nahmen dabei gleich drei Personen ein - Max Stadler, Udo Lattek und Hennes Weisweiler.
Aber der Reihe nach. Neben dem Alltagsgeschäft mit dem SC Zwiesel in der Bezirksliga, der damals höchsten Spielklasse Niederbayerns, war Heinz Wittmann regelmäßiger Gast in der Bayern-Auswahl. Mit dieser Truppe gewann er die Deutsche Amateur-Meisterschaft und qualifizierte sich so für die Amateur-Nationalmannschaft. "Das ging alles so schnell, dass ich den einzelnen Stationen gar kein Jahr mehr zuordnen kann", sagt er heute. 

Und dann kam Udo Lattek.

Und dann kam Udo Lattek. Der spätere Welttrainer coachte zu Beginn seiner Karriere jene Amateur-Auswahl, in der sich Wittmann mehr und mehr in den Mittelpunkt spielte. Nach dem Aufstieg in die neugegründete Bundesliga fragte ein zu dieser Zeit noch unbekannter Hennes Weisweiler seinen "Spezi" Lattek, ob er einen Defensivspieler mit Potenzial wisse, wie sich Wittmann ins Gedächtnis ruft. Seinen Überlieferungen zufolge soll Lattek geantwortet haben: "Ich habe da einen - tief, tief unten im Bayerischen Wald." Das Schicksal nahm von da an seinen Lauf.
Von der Bezirksliga in die Bundesliga, vom SC Zwiesel zu Borussia Mönchengladbach, vom Woid ins Rheinland - dank der Hilfe des SC-Abteilungsleiters Max Stadler schaffte das Talent diesen beeindruckenden Sprung sehr schnell. Plötzlich lief er nicht mehr gegen Hauzenberg und Passau auf, sondern trainierte gemeinsam mit Günther Netzer und Berti Vogts, spielte gegen Gerd Müller und Uwe Seeler. "Gladbach war ja gerade aufgestiegen. Netzer, Heynckes und Laumen waren demnach in der Bundesliga genauso Neulinge wie ich. Alle mussten sich erst einmal zu Recht finden." Und wieder spielte dabei Jupp Heynckes eine gewichtige Rolle. 

Rückblende auf eine der ersten Trainingseinheiten. Abschlussspiel. Ein weiter Ball von Netzer auf Heynckes. Heinz Wittmann glaubt, einfaches Spiel zu haben, sieht den Ball kommen, doch dieser ändert plötzlich seine Flugrichtung, landet direkt bei Jupp. "Netzer konnte den Ball schon damals anschneiden. In meiner Zwieseler Zeit habe ich so etwas nie gesehen. Er hat mich richtig düpiert." In der Folge weiß Wittmann nicht so recht, ob er überhaupt spielen wird - ans Aufgeben denkt er jedoch nicht. Erst allmählich gewöhnt er sich an das hohe Spiel-Niveau, lernt die Lebensweise und die Art der Rheinländer zu schätzen - und überzeugt am Ende Trainer Weisweiler von sich und seinen Fertigkeiten. Zu Beginn der Bundesliga-Saison steht der Waidler Wittmann gegen Borussia Neunkirchen in der Startelf.

Sein anfängliches Monatsgehalt: zirka 1.200 Mark. Ein „kleines Handgeld“ kommt nach dem Wechsel hinzu. „Für damalige Verhältnisse war das viel. Doch im Vergleich zu heute eine läppische Summe. Trotzdem waren wir stolz, mit Fußball unser Geld verdienen zu können." Der Verdienst war ohnehin Nebensache. Das, was auf dem Platz passierte, die Hauptsache. 
Langsam aber sicher konnte sich Heinz Wittmann in der Bundesliga etablieren. Duelle gegen Weltstars wie Gerd Müller gehörten allmählich zum Alltag. Doch trotz dieser hochkarätigen Kontrahenten gab es einen, gegen den sich der Zwieseler besonders schwer tat: ein damals noch relativ unbekannter Stürmer namens Rüdiger Mielke vom MSV Duisburg. Wittmann biss sich dennoch durch, gehörte bald zu den besten deutschen Verteidigern - bis zu jenem folgenschweren Duell mit Jupp Heynckes im Jahr 1968.

"Ich lag dann im Krankenhaus und wusste nicht so recht, wie es weiter geht", erinnert sich der Zwieseler. Rund eineinhalb Jahre dauerte es, bis er wieder auf den Platz zurückkehren konnte. Während seiner unfreiwilligen Auszeit entwickelte sich die Gladbacher Elf zu einem der besten Teams der Liga. Wittmann bekam diesen Aufschwung nur am Rande mit. Getrieben vom Ehrgeiz, arbeitete er hart für sein Comeback, schaffte es noch vor der ersten Deutschen Meisterschaft der Borussia zurück in den Kader – ohne in dieser Saison jedoch noch einmal zum Einsatz zu kommen. "Trotzdem habe ich mich als Meister gefühlt. Ich gehörte ja zur Mannschaft", sagt der 74-Jährige heute. Dieses Glücksgefühl wiederholte sich bereits im Folgejahr, als die Gladbacher Kicker erneut die Meisterschale empor hoben. Wittmann gehörte zwar wieder zur Stammelf, doch an seine Leistung von vor der Verletzung konnte er nicht mehr anknüpfen. Mehrmalige Muskelverletzungen bremsten ihn schließlich ganz aus.

"Wir konnten unser Leben einfach leben."

"Die Spätfolgen meiner Verletzung. Damals hat es eben noch keinen Muskelaufbau oder besondere Reha-Programme gegeben. Gleich nachdem man von den Ärzten grünes Licht bekommen hatte, ist man wieder auf dem Platz gestanden." Individuelle Trainingssteuerung, Ernährungspläne und Videoanalyse waren noch in weiter Ferne. Das Trainergespann bestand im besten Falle aus dem Teamchef und einem Torwarttrainer. Ein einzelner Masseur kümmerte sich um den kompletten Kader. "Da konnte man sich im Training schon mal verstecken", erzählt Heinz Wittmann und lacht. "Damals war aber das Umfeld noch nicht so erhitzt wie heute. Die Medien berichteten nicht stündlich über Vereinsneuigkeiten.“ So blieb Wittmanns Wirken in der Bundesliga-Historie eher ein Nebenaspekt. Zum Kern eines der erfolgreichsten Borussen-Teams als anerkannter und respektierter Spieler zählt er seit seiner aktiven Zeit jedoch allemal.

Heinz Wittmann erinnert sich: "Wir bildeten eine brave Mannschaft, haben anständig trainiert und pflegten eine tolle Kameradschaft untereinander." Das ein oder andere Bierchen nach Feierabend war damals noch Usus in der Bundesliga. Ein Besuch in Günther Netzers legendärer Diskothek "Lovers Lane" wurde nicht von der Boulevard-Presse ausgeschlachtet, sondern gehörte zum guten Ton. Die Romantik früherer Fußball-Tage wusste Heinz Wittmann stets zu schätzen. "Klar haben wir Autogramme geschrieben. Aber im Großen und Ganzen konnten wir unser Leben einfach leben."
 

Eine treue Begleiterin seit diesen Tagen ist seine Erna, die er gleich zu Beginn der Gladbach-Zeit heiratete. "Sie hat mich dann nach Mönchengladbach begleitet und wurde zu einer wichtigen Bezugsperson für mich." Die älteste Tochter Bianca erblickte im Rheinland das Licht der Welt. Stefanie, die jüngere, ist gebürtige Waidlerin. Die Familie stellte für Heinz Wittmann immer einen Fixpunkt dar. Im Kreise seiner Liebsten fühlte er sich wohl, in Zwiesel war er - trotz eher sporadischer Besuche - heimisch. Deshalb entschloss er sich auch dazu, in der Glasstadt ein Zweifamilienhaus, das 1975 zu einer Pension umgebaut wurde, zu errichten – auch auf Anraten von Hennes Weisweiler. "Er legte uns nahe, unser verdientes Geld nicht zu verprassen, sondern es sinnvoll zu nutzen - etwa für ein Haus."

Der Bau der eigenen vier Wände stellte - ungewollter weise - einen Wendepunkt im Leben von Heinz Wittmann dar. Eine eigentlich kleine Meniskusverletzung mauserte sich zu einer längeren Krankheitsmisere. "Die damalige Medizin…", kommentiert er und schüttelt den Kopf.  "Ich wurde zum Sportinvaliden - und habe noch heute mit den Folgen zu kämpfen." Praktisch noch im Krankenbett wurde sein neu-unterzeichneter Vertrag aufgelöst – zu einem Zeitpunkt, "als ich endlich mal ein bisschen Geld verdienen hätte können". Deprimiert kehrte er Mitte der 70er in die Heimat zurück, leitete von da an das Lohnbüro in einem regionalen Bauunternehmen.

"Da stehe ich im Mittelpunkt. Das ist aber nicht meins."

"Freilich war es eine Umstellung - plötzlich konnte ich nicht mehr Fußball spielen. Aber ich habe mich relativ schnell gefangen." Für den SC Zwiesel lief er nur noch zwei-, dreimal auf - zu groß waren seine Knieprobleme. Im Anschluss folgten Stationen als Trainer bei seinem Heimatverein und beim TSV Regen, beides jedoch nur kurze Gastspiele. "Trainer oder Vorstand - das liegt mir nicht. Da stehe ich im Mittelpunkt. Das ist aber nicht meins." Der Fußball begleitet ihn immer noch - wenn auch nur als Zuschauer seines Enkels. 

"Auf der Linie gerettet - von Wittmann"

Vielleicht eine der Sternstunden in der Karriere Wittmanns - die Europacup-Spiele. Hier gegen den FC Everton.

Und auch die Bundesliga verfolgt Heinz Wittmann weiterhin gebannt. Geht es um Borussia Mönchengladbach, spricht er noch heute von "wir". Die Weiterentwicklung des Ballsports hin zum Event mit Millionen-Beträgen stört den Zwieseler nicht weiter. Eine Sache von Angebot und Nachfrage sei das, erklärt er. "Wenn ich die Gehälter so betrachte, möchte ich heute gerne Profi sein", gibt Wittmann offen zu - ergänzt jedoch schnell: "Aber ich möchte meine Zeit nicht missen. Es war sehr schön damals."

"Wir werden allesamt nicht jünger"

Denn was bleibt, sind nicht ein dickes Konto oder zahlreiche Schlagzeilen in den Medien, sondern Freundschaften, die bis heute Bestand haben. Bei Berti Vogts war Heinz Wittmann kürzlich zum 70. Geburtstag eingeladen. Jupp Heynckes hat er zuletzt während dessen Auszeit als Trainer in seinem Haus im Schwalmtal besucht. Die beiden Bundesliga-Veteranen schwelgen dann gerne in Erinnerungen - über den folgenschweren Zweikampf 1968 können sie längst lachen. Dass "Don Jupp" noch einmal bei den Bayern als Trainer einsprang, kam auch für Heinz Wittmann überraschend: "Da hat der Uli Hoeneß ganze Arbeit geleistet."

Denn normalerweise sei Heynckes ein starker Charakter, der zu seinem Wort stehe. Daher ist es für den Zwieseler nur schwer vorstellbar, dass sein Freund eine weitere Saison Coach bei den Münchener Bayern bleibt. Denn fernab aller Spekulationen stellt Heinz Wittmann mit einem Augenzwinkern fest: "Wir werden allesamt nicht jünger."