Vom Wald das Beste. – Nationalparkregion Bayerischer Wald
Vom Wald das Beste: Momcilo Mellen aus Schönberg

Aktuelles

Vom Wald das Beste: Momcilo Mellen aus Schönberg

Ilicevo/Mülheim/Schönberg. Das Wort "zuagroast" ist eines jener Wörter, das in unseren Breitengraden charmant darauf hindeutet, dass man's als Neuankömmling vielleicht nicht immer ganz so leicht hat. Das muss nicht die Regel sein, aber es bedarf unbestritten eines gewissen "Integrationswillens", um im Bayerischem Wald die Auszeichnung "Hiesiger" tragen zu dürfen.

Nun gibt's als "Zuagroaster" so manchen Kniff, um dem eigenen Integrationsprozess etwas auf die Sprünge zu helfen. Eine Mitgliedschaft im Fußballverein beispielsweise, bei der Feuerwehr - oder, für gänzlich Unerschrockene, bei der Blaskapelle. Oder man macht es wie Momcilo Mellen und setzt sofort nach der Ankunft im Woid alles auf eine Karte: "Ich bin sofort der CSU beigetreten."

Nicht der einzige Hinweis darauf, dass Mellen weiß, wie er sich im Leben durchsetzen kann. Mellen ist - nicht nur bildlich gesprochen - ein echter Boxer...

Doch die Geschichte des heute 68-Jährigen beginnt Jahrzehnte vor seinem CSU-Beitritt, lange vor seiner Ankunft im niederbayerischen Schönberg. Sie beginnt im Jugoslawien der 1950er-Jahre, genauer gesagt in Ilicevo im heutigen Serbien.

Sie beginnt in einem Land, in dem nur sieben Jahre zuvor die Kommunistische Partei Jugoslawiens (KJP) die Macht ergriffen hatte. Eine Zeit, in der Andersdenkende zunehmend drangsaliert wurden, in der Widerspruch zur Straftat verkannt wurde. Und genau so hatte es Mellens Vater in jenen Tagen am eigenen Leib erfahren müssen: Auf dessen Kritik am totalitären System folgten Schläge, Tritte, folgten Folter und Gefangenschaft.

Der Vater, erzählt Mellen heute, der aus dieser Gefangenschaft zurückkehrte, war nicht mehr derselbe. Er war gebrochen, nunmehr ein "Tyrann". Als Folge der Gewaltexzesse verließen erst die Mutter und dann Mellen selbst das bis dato gemeinsame Zuhause.

Von der Straße in den Ring...

Mellen, damals noch mitten in der Pubertät, begann sich auf der Straße durch zu schlagen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Allzu regelmäßig geriet er mit Mitgliedern anderer Jugendbanden aneinander, prügelte sich mit ihnen aufs Heftigste, wie sich der 68-Jährige erinnert.

Einen Beobachter dieser Auseinandersetzungen imponierte Mellen offenbar mit seiner Schlagkraft und Geschwindigkeit. Es folgte eine Einladung zum Boxtraining. "Das war meine Rettung", erklärt er heute. Dass er später einmal als gestandener Boxer bei einer Europameisterschaft in den Ring steigen würde, ahnte er damals noch nicht.

Nach einem, wie es Mellen heute nennt, "Schlüsselerlebnis in der Kirche", und mit seiner eigenen Krankheitsgeschichte im Hinterkopf, wendete er sich nun einer neuen Aufgabe zu: "anderen Menschen zu helfen". Er absolvierte die Ausbildung zum Heilpraktiker sowie für den Schwerpunkt "biologische und komplementäre Krebstherapie". Es folgten Weiterbildungen im Bereich der Inneren Medizin sowie zum psycho-onkologischen Berater. Die Liste der Zertifikate und Lehrgänge, die der Momcilo Mellen vorweisen kann, ist lang.

Mittlerweile leitet er als Heilpraktiker und psychoanalytischer Diagnostiker in Schönberg seine eigene Praxis.

Ein Kämpfer innerhalb und außerhalb des Rings

Auch wenn er heute nicht mehr selbst im Ring steht, scheint er immer noch das zu sein, was er sein Leben lang gewesen ist: ein Boxer, ein Kämpfer. Einer, der aufsteht, wenn er zu Boden geht, der auch mal Schläge einstecken kann, auf den Straßen Serbiens, bei den Europameisterschaften in Udine, auf der Flucht vor einem totalitären Regime, als Gefangener seines eigenen Körpers sowie als Integrationsbeauftragter in seiner neuen Heimat. Nicht zuletzt als Arzt und Heilpraktiker. Ein Kämpfer innerhalb und außerhalb des Rings.

Was vom einstiegen Boxer, dem Kämpfer mit dem gestählten Äußeren übrig blieb, war nicht mehr als eine kraftlose Hülle. Ein Körper, der um den eigenen Erhalt bangte. Mit verbrannter Haut, kaum in der Lage zu sprechen, Schmerzen am ganzen Leib. Nur schleppend erholte sich Mellen von seinem Beinahe-K.0., bezog gemeinsam mit seiner Frau ein neues Haus in Moers am Niederrhein und begann wieder zu arbeiten. Bis zu seinem Hirninfarkt, auf den nur kurz darauf ein Schlaganfall folgte.

Und dann eine Depression. Von nun an war klar, dass er seinen Job endgültig aufgeben müsse. Das war im Jahr 1996. Mellen, ohne Job, ohne Boxen - letzten Endes ohne Leidenschaft und Passion, ohne Lebenskraft. "Total nutzlos" sei er sich vorgekommen damals. Trotz Antidepressiva habe er damals überlegt seinem Leben ein Ende zu setzen.

Nach vier harten und von ständigen Rückschlägen begleiteten Jahren verschlug es Mellen und seine Frau Heide schließlich nach Bayern, nach Schönberg im Bayerischen Wald. Eher per "Zufall", wie Mellen erklärt. Gemeinsam mit ihr hatte er dort eine passende Bleibe gefunden. Für den damaligen Neuankömmling und gläubigen Christen war klar, dass die lokale CSU seine erste Anlaufstelle sein werde.

Quasi als Integrationsbeschleuniger. Mit Erfolg: Es dauerte nicht lange und Mellen wurde zu einer Art Integrationsbeauftragten im Ort ernannt. Als solcher kümmerte er sich um Neuankömmlinge aus dem Ausland, unterstützte sie bei Behördengängen und im Alltag. Und auch in Sachen Boxsport sollte es von nun an wieder bergauf gehen: Dank Mellens Engagement wurde der heimische TSV Schönberg um eine Boxsparte erweitert - mit ihm als Trainer. Den Boxclub, erklärt Mellen heute stolz, "gibt es immer noch".

26 Bestrahlungen und sechs Radiojodtherapien

Doch seine neue Heimat hieß nun ohnehin Deutschland. Mellen machte eine weitere Ausbildung, die er 1986, im Alter von 36 Jahren, als Industriemeister abschloss. Bei seinem neuen Arbeitgeber, der Firma Sachtleben, war er zunächst als Schichtmeister eingesetzt, später als Betriebsmeister und schließlich als Betriebsleiter.

Beruflich saß der Boxer nun fest im Sattel - und auch die deutsche Staatsbürgerschaft wurde ihm - nach langem hin und her - letztendlich verliehen.

Es war die Gesundheit, die Mellen dieses Mal beträchtlich ins Straucheln brachte. Im Boxsprech stand Momcilo Mellen in dieser Zeit kurz vor dem Knockout. Erst ein Bandscheibenvorfall. Dann Nierensteine. Schließlich die Diagnose: Schilddrüsenkrebs. Es brauchte 26 Bestrahlungen und sechs Radiojodtherapien, um Mellen am Leben zu erhalten. Die Schilddrüse musste in Folge der Erkrankung entfernt werden.

Sportlich sollte schon bald der Bundesliga-Club "Ringfrei Mülheim" seine neue Heimat werden, beruflich die Firma "Mannesmannröhren-Werke" mit Sitz in Düsseldorf. Es war Ende 1973, als ein alter Bekannter zu Besuch kam. Wie dieser ihn gefunden hatte, konnte sich Mellen damals nicht erklären. Es sollte sich allerdings schnell herausstellen, was es mit dem "Besuch" auf sich hatte: Der alte "Bekannte" war ein Mitarbeiter der Stasi. Mellen sollte ausspioniert, auf etwaige staatsfeindliche Umtriebe überprüft werden...

Es war - wie konnte es anders sein - am Rande eines Boxkampfes, als Mellen das erste Mal von einer Frau namens Heide angesprochen wurde. Aus dem Gespräch wurde eine Bekanntschaft, später eine Freundschaft. Im Jahr 1976 gaben sich Heide und Momcillo dann das Ja-Wort.

Doch - und das scheint sich wie ein roter Faden durch das Leben des Ex-Jugoslawen zu ziehen - folgte nach einigen glücklichen Jahren sogleich wieder ein Tief: Mellens Pass war abgelaufen. Die jugoslawischen Behörden verweigerten die Verlängerung, er solle unverzüglich in seine Heimat zurückkehren.

Als Staatenloser in Deutschland


Für Mellen galt dies jedoch als ausgeschlossen. Er gab seinen Pass ab und lebte fortan als Staatenloser in Deutschland. Sein Asylantrag wurde - mit kräftiger Unterstützung seines Boxclubs sowie einiger Bundestagsabgeordneter - schließlich doch genehmigt. Grund genug für die jugoslawischen Behörde Mellen seine Staatsbürgerschaft abzuerkennen. In seiner Heimat galt er von nun an offiziell als Verräter.

Zunächst musste Mellen selbst Schläge einstecken. Schläge der Willkür. Im Januar 1969 bekam auch er - Boxtalent hin oder her - die gewalttätigen Auswüchse des kommunistischen Regimes zu spüren. Für knapp ein Jahr verfrachteten sie ihn auf die Gefangeneninsel Goli Otok, Zwangsarbeit inklusive. Die Insel, die heute auf kroatischem Staatsgebiet liegt, war auch unter dem Namen "Titos KZ" bekannt - wohl nicht zu Unrecht, wie Mellen weiß.

Warum er auf der Insel gelandet sei? Mellen schmunzelt kurz und sagt dann: "Für so etwas brauchte man damals keine Gründe." Nicht einmal ein Gerichtsurteil habe vorgelegen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe er beschlossen, dass diese "Heimat" bald nicht mehr die seine ist.

Nach seiner Freilassung ging es für Mellen im Ring steil bergauf. Er wurde als Staats-Amateurboxer zunächst Junior-, später Seniormeister. Im Jahr 1970 fuhr er, mittlerweile als Mitglied der Nationalstaffel, zur Box-Europameisterschaft nach Ungarn. Schon damals erklärte er - mittels Zeichensprache, denn Deutsch konnte Mellen nicht - den Delegierten des deutschen Boxteams, er wolle fliehen, wenn möglich in die BRD. Die Sache hatte nur einen Haken: Während der Auslandsreisen wurden den jugoslawischen Boxern ihre Pässe abgenommen. Und ohne Papiere sei auch eine Flucht sinnlos gewesen.

Besuch vom "alten Bekannten"


Um aus Jugoslawien zu fliehen und der Willkürherrschaft zu entkommen, musste Mellen an seine Dokumente kommen. Im Jahr 1972 nutzte er schließlich seine Chance. Bei einem Länderkampf zwischen Jugoslawien und Italien, so der 68-Jährige, habe er sich ins Zimmer eines Delegierten geschlichen und dessen Pass mitgenommen.

Von Udine aus floh er dann über Zürich nach Deutschland, nach Mülheim an der Ruhr in Nordrhein-Westfalen.